Montag, März 26, 2007

"Ich habe ein Echo"

Wer bislang noch ein Zeichen für die Provinzialität deutscher Medien gebraucht hat, der bekam es gestern in kleinen Häppchen von RTL: Der Echo 2007...


In Mainz malt man noch Pappschilder. Lisa Bund - babyspeckige und aufgedonnerte DSDS-Kandidatin mit frenchmanikürten Fingern - hat hier "früher" (also vor acht Wochen) im Unterwäschegeschäft ihres Vaters in der Mainzer Altstadt als Verkäuferin gearbeitet. Seit sie nun ihre 15 Minuten Ruhm auf RTL auslebt, hängen im "Socken-Eck", so heißt das angebliche "Dessous-Geschäft" (BILD), selbstgemalte Pappschilder, durch die die Mainzer Passanten aufgefordert werden, für die kleine Lisa abzustimmen. So weit, so Privatfernsehen.

Jetzt trifft es sich aber ganz gut, dass sich der Sender aus Köln auch in diesem Jahr wieder für die Übertragung des überflüssigsten Musikpreises der Welt (nach dem BRAVO-Otto) entschieden hat, des ECHO 2007. Normalerweise ein weiterer Grund, sich das Einschalten zu ersparen. Aber den Tatort-Kommissar von gestern find ich blöd und so n bisschen Fremdschämen am Abend kann ja auch mal lustig sein. In punkto Fremdschämen wird man in den insgesamt über drei Stunden Übertragung nicht enttäuscht. Viel erschreckender ist aber, wie sich eine mittelmäßige, provinzielle und extrem entlarvende Veranstaltung zum Mittelpunkt des Pop-Universums hochjazzt - und wie RTL damit einmal mehr zeigt, dass es sich anstatt eine möglicherweise vorhandene Realität zu berichten, lieber eine eigene Realität kreiert und diese dem nichtfragenden Zuschauer vorsetzt und vor allem verkauft.

So sitzt zwischen zweifellos bewunderungswürdigen Musikern wie den Fanta 4 oder den Beatsteaks auch das übrig gebliebene Rudel der DSDS-Kandidaten. Alle in einer Reihe – wie beim Klassenausflug ins Theater. Sie sehen aus wie eine Gruppe Zehnjähriger, die man vom Kindertisch auf einmal zu den Erwachsenen dazu gesetzt hat. Die Tatsache, dass diese Möchtegern-Superstars nicht am Kindertisch - also draußen - bleiben mussten, zeigt aber schon, wie es um die Welt der deutschen Popmusik außerhalb der Intro bestellt ist: Provinzialität wohin man schaut. Eine 16-Jährige Schaufensterpuppe kriegt zwei Preise (LaFee) und Silbermond sind mit einem zu zwei Dritteln von Herbert Grönemeyer geklauten Lied die Abräumer des Abends. Wie so etwas passieren kann? Beim Echo wird die Vorauswahl der Kandidaten nicht nach Qualität oder Anspruch getroffen, sondern nach der Zahl verkaufter Platten in den abgelaufenen zwölf Monaten.

Umso erstaunlicher, dass man in RTL- und ECHO-Land so tut, als wäre man auf Augenhöhe mit den ganz Großen. Beispiel gefällig? Der Videotext von RTL verbreitet in jeder der geschätzten zwölf Werbepausen die frohe Botschaft weiter ins Land: „Weltweit genießt allenfalls der Grammy in Amerika ein höheres Ansehen als der Echo.“ Da fällt einem nix mehr ein. Abgesehen davon, dass sich die Macher der Brit-Awards oder der MTV VMAs vermutlich schlapp lachen über Auftritte wie die Möchtegern-Vamp-Präsentation von Yvonne „Der Hammerhai“ Catterfeld im Angelina Jolie-Look, zeigt auch die Präsenz der wirklichen Superstars in Berlin, wie angesehen der Preis so ist.

Konnte man sich Ende der 90er-Jahre noch damit rausreden, dass die richtigen Stars Berlin für zu langweilig befinden, so zählt diese Ausrede schon lange nicht mehr. Zur Berlinale kommt ja schließlich inzwischen auch ein Haufen richtiger Stars. Die einzigen Vertreter der großen Prominenz waren dann auch Yusuf (Der ehemalige Cat Stevens, wie man bei RTL nicht müde wurde zu betonen, um den Zuschauern den Schrecken vor dem bösen fremden Namen zu nehmen) und Bono Vox (der für seine gerechte Sache aber auch jedes Forum wählt, das ihm geboten wird). Bezeichnend, dass Bono den Preis mit den deutschen Worten: "Ich habe ein Echo!" entgegennahm. Den Zusatz: "...was immer das auch ist, aber Ihr habt ja bald den G8-Gipfel und deshalb bin ich mal vorbeigekommen." hat er sich dabei erspart.

Ansonsten machte die Deutsche Phono-Akademie als Veranstalter des ECHO aus ihrer Sicht aus der Not wohl eine Tugend: „Wer nicht kommt, der kriegt auch nix“. Nur so lässt es sich erklären, dass als beste internationale Künstlerin die Fahrstuhlmusikantin Katie Melua (war da) und nicht etwa die politische unkorrekte und wesentlich interessantere P!nk (war nicht da) ausgezeichnet wurde. Auch die Entscheidung, Billy Talent als beste Alternative/Rock-Band (Als nette Kanadier die sie sind waren sie natürlich da) Könnern wie Placebo oder Tool (waren nicht da) vorzuziehen, rührt wohl da her
.
Die Auswahl der nationalen Preisträger beim Echo steht sowieso schon seit Jahren nicht mehr unter Rationalitätsverdacht. Von den schon erwähnten LaFee und Silbermond, über den unvermeidlichen Roger Cicero bis hin zu Bushido fällt einem auf, dass es nicht nur an der Sprache hängen kann, das deutsche Musik im Ausland nicht ähnlich erfolgreich ist wie umgekehrt. Und da sind wir wieder bei Lisa Bund. Wer solche Superstar-Kandidaten hat wie wir, der braucht sich um die Erholung des deutschen Pop-Business keine Illusionen zu machen. Wo in anderen Ländern selbst die ausgeschiedenen Kandidaten (Kelly Clarkson) bessere Musik machen als unsere Sieger wie Tobias Regner oder Lenor-Vertreter Alexander Klaws, da ist eine Versorgung des Massenpublikums mit wenigstens gut produzierter Popmusik in weiter Ferne.

Wer dann noch in die Fänge von RTL gerät ist kaum noch zu retten. Ein Sender, der die komplette Sendung seinen Zuschauern als „live“ verkauft, das Ganze aber nahezu zwei Stunden (!) zeitversetzt überträgt (wie ein Vergleich mit dem Live-Ticker von Spiegel Online zeigte), legt seine Motive offen: Hauptsache billig produziert, erprobte Konzepte und genug Crosspromotion. Bis nächste Woche dann, der Boxkampf von Henry Maske ruft!